Anreiz zum Scheinwettbewerb
Dank der Anreizregulierung sollen ab 2009 die Netzentgelte bei Strom und Gas kräftig purzeln. Hans Forster erklärt die Grundzüge dieses neuen Systems.

Hans Forster
(20. Dezember 2007) - Mehr Staat ist nicht immer gleich weniger Markt: Wenn die Bundesnetzagentur (BNA) im Januar 2009 ihre sogenannte Anreizregulierung aufnimmt, sehen sich die Betreiber von Strom- und Gasnetzen zum ersten Mal mit Wettbewerb konfrontiert. Ihre Kosten für Leitungen und Trafos, für Betrieb und Steuerung, für Wartung und Instandhaltung münden dann nicht mehr automatisch in Preise, die Nutzer ihnen für das Netz bezahlen. Ab dann diktiert die BNA die Obergrenzen für die Erlöse. Diese orientieren sich auf Grundlage eines bundesweiten Vergleichs am effizientesten Unternehmen.
Die Messlatte liegt beim Klassenbesten
Wenn sich die Branche ab Januar 2009 nach dem Klassenbesten richtet, sollten die Netzgebühren stärker unter Druck geraten als im bisher lediglich kostenbasierten Regulierungssystem. Der Verbraucher profitiert direkt: Immerhin entfällt ein gutes Drittel des Strom- und etwa ein Viertel des Gaspreises privater Haushalte auf die Netzentgelte. Gleichzeitig sollten faire Tarife für die Nutzung der Leitungsinfrastruktur den Wettbewerb unter den Energieanbietern beflügeln, was sich zumindest langfristig schmälernd auf die übrigen Preiskomponenten auswirken dürfte, also auf den Einkauf und Vertrieb von Strom und Gas.
Auch der Netzbetreiber kann vom neuen System profitieren: Wem es gelingt, seine Kosten stärker abzusenken als nötig, um die Preis- und Erlösobergrenzen des Regulierers einzuhalten, kann zusätzliche Gewinne erwirtschaften und diese für die laufende Regulierungsperiode auch behalten. Ein Anreiz, die Produktivität zu steigern, der zeitversetzt auch dem Verbraucher zugute kommt.
Die Monopolkommission bezweifelt jedoch, dass die Anreizregulierung zu sinkenden Netzkosten führt. Es gebe zu viele Ausnahmen, keine Qualitätskontrolle und überdies würden nicht alle Kosten einbezogen (siehe Kasten).
Bundesrat schlägt sich auf Verbraucherseite
Die nunmehr in Berlin beschlossene Lösung war im Detail bis zuletzt heftig umstritten. Nachdem der Gesetzgeber die Verordnung bereits in vielen Punkten zugunsten der Netzbetreiber abgeschwächt hatte, hat der Bundesrat - quasi letztinstanzlich - eine weitere Verwässerung des Regelwerks verweigert.
Regulierung zurechtgestutzt
Strittig war die Frage, welchen Produktivitätsfortschritt die Branche in den fünf Jahren einer Regulierungsperiode voraussichtlich erreichen wird. Dieser Wert ist wichtig, um die im Voraus festgelegten Erlösobergrenzen um die Preisentwicklung in der Energiebranche bereinigen zu können. Konkret ermittelt wird die Größe anhand historischer Daten aus der Branche - allerdings erst in der dritten Regulierungsperiode. Für den Anfang ist man auf Schätzungen angewiesen. Die Vorschläge der Netzagentur, 2,54 Prozent, hatte das Bundeskabinett bereits entschärft. Ergebnis: 1,25 Prozent für die erste und 1,5 Prozent für die zweite Regulierungsperiode. Eine weitere Absenkung hat der Bundesrat verhindert.

Auf dem Weg vom Entwurf zur Verordnung ist der Kostenblock, den die Netzbetreiber tatsächlich beeinflussen können, stetig zusammengeschrumpft und damit auch die möglichen finanziellen Anreize, auf die der Regulierer mit seinen Vorgaben zielt.
Rechnerisch zum Klassenprimus
Für die Bestabrechnung müssen sich die Kosten in Bezug auf verschiedene gebietsstrukturelle Gegebenheiten wie die Anzahl der Strom- und Gasanschlüsse, Versorgungsfläche oder Leitungslänge sowie die Jahreshöchstlast im Netz vergleichen lassen. Dazu ist eine mehrdimensionale Betrachtung nötig, denn die Kosten pro Leitungskilometer können beträchtlich variieren. So spielt es zum Beispiel eine Rolle, ob man das Netz auf eine hohe oder niedrige Höchstlast dimensionieren muss, oder, ob ein Versorgungsgebiet wie beim Gas nur lückenhaft mit Kundenanschlüssen versehen ist.
Ausgleich schaffen zwei unterschiedliche Vergleichsmethoden. Nach jeder Methode erhält jeder Netzbetreiber einen prozentualen Effizienzwert. Weichen die beiden Ergebnisse voneinander ab, gilt der günstigere Wert. Für Unternehmen, die gegenüber dem Klassenbesten sogar eine Mindesteffizienz von 60 Prozent verfehlen, werden die 60 Prozent anerkannt. Der Wert von 60 Prozent ist ein Entgegenkommen des Gesetzgebers, denn der ursprüngliche Verordnungsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums sah noch eine Deckelung von 50 Prozent vor.
Keine Regel ohne Ausnahme
Zunächst haben die Netzbetreiber zehn Jahre Zeit, um Ineffizienzen, sprich die Differenz zum effizientesten Unternehmen, abzubauen. Jedes Unternehmen erhält dazu von der BNA einen individuellen "Erlöspfad". Am Ende des Zeitraums müssen alle Unternehmen so sparsam kalkulieren wie der Klassenprimus. Ab 2019 verkürzt sich der Zeitraum für diese Anpassung auf fünf Jahre.
Netzbetreiber, denen die Effizienzvorgaben unzumutbar erscheinen, etwa weil sie sich dadurch außerstande sehen, die üblichen Tariflöhne zu zahlen, können in einer Einzelfallprüfung Abschläge erwirken. Zudem gibt es für kleinere Unternehmen auf Wunsch Entlastung von der Bürokratie. Wer weniger als 15.000 Gas- beziehungsweise 30.000 Stromkunden versorgt, kann ein vereinfachtes Verfahren wählen, in dem für die erste Periode ein pauschaler Effizienzwert von 87,5 Prozent gilt. 45 Prozent der genehmigten Kosten gelten als dauerhaft nicht beeinflussbar. Über drei Viertel der Netzbesitzer könnten von dieser Option Gebrauch machen. Damit verbleiben aber auch 75 Prozent der Verbraucher im normal regulierten System.
Über Jahre am Netz gespart
Die Branche befürchtet, dass die Anreizregulierung die Unternehmen davon abhält, in ihre Infrastruktur zu investieren. Tatsächlich hat die Branche nach eigenen Angaben schon in den vergangenen Jahren kräftig am Netz gespart. Trotzdem zählt es, gemessen an den störungsbedingten Ausfallzeiten, noch immer zu den weitaus Zuverlässigsten in Europa. Eine Bonus-/Malus-Regelung im Anreizregelwerk soll dafür sorgen, dass die Versorgung so zuverlässig bleibt. Verbraucherschützer bezweifeln jedoch, dass dieses stark technisch orientierte Element ausreicht, um die Servicequalität zu garantieren. Jedenfalls finden sich die Vorschläge der Netzagentur zu einer minimalen Servicequalität im Gesetz nicht mehr wieder.
Kunden profitieren nicht
Die Monopolkommission schreibt in ihrem Sondergutachten 2007:
"Nach Auffassung der Monopolkommission wäre es sachgerecht, das Kriterium "Servicequalität" explizit als Qualitätskriterium aufzunehmen, etwa anhand der Vorgaben der "Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE)". Das würde den Dienstleistungscharakter eines Netzbetreibers betonen und verbraucherfreundliche Energieversorger im Sinne § 1 Abs. 1 EnWG belohnen."
"Die vorgesehenen Ausnahmeregelungen betrachtet die Monopolkommission mit Sorge. Da drei Viertel aller Elektrizitäts- und Gasnetzbetreiber diese geltend machen können, wird der Sinn der Härtefallklausel konterkariert."
"Kritisch zu sehen ist auch, dass die erste Regulierungsperiode keinen Effizienzvergleich vorsieht. Das birgt die Gefahr, dass kleine und vermeintlich ineffiziente Energieversorger wie Stadtwerke ihr Potenzial zur Effizienzsteigerung nicht ausschöpfen. Zudem würden mehrere hundert Stadtwerke keinem Qualitätsmanagement unterliegen."
"Gegenüber dem Referentenentwurf vom 4. April 2007 wurde der vorliegende Verordnungsentwurf vom 13. Juni 2007 zwar "nachgebessert". Aus Sicht der Monopolkommission weist das vom Bundeswirtschaftsministerium verfolgte Konzept zur "Anreizregulierung dennoch erhebliche Mängel auf, die beseitigt werden müssen." So seien die gegebenen Anreize für eine effiziente Bewirtschaftung des Leitungsnetzes zu gering.
"Weiterhin fällt die allgemeine Produktivitätskennziffer mit 1,25 bzw. 1,5 Prozent zu gering aus und bewegt sich unterhalb bzw. nur am unteren Rand der von der Bundesnetzagentur vorgeschlagenen und international üblichen Bandbreite."
"Nach Ansicht der Monopolkommission wird mit der Anreizregulierung keine wesentliche Senkung der Energiepreise für Hauhaltskunden einhergehen: Zum einen beträgt der Anteil der Netzentgelte am Endverbraucherpreis bei Elektrizität im Durchschnitt nur etwa ein Drittel und bei Gas nur etwa ein Fünftel. Zum anderen beziehen sich die (individuellen) Effizienzvorgaben nicht auf den gesamten Kostenblock eines Netzbetreibers, sondern nur auf die von ihm beeinflussbaren, ineffizienten Kostenanteile."
schließen