Höchstpreise bei Heizkosten: Die Tricks der Fernwärmeerzeuger
Fernwärmekunden können sich über ihre überhöhten Heizkosten oft nur wundern. Mit welchen Tricks die Fernwämeerzeuger die Rechungen in die Höhe getrieben haben und immer noch treiben, zeigt der folgende Beitrag*.
(28. Mai 2004)
Elisabeth Fiedler, 79 Jahre alt, schwerbehindert:
Seit dreißig Jahren wohnt sie in Hamburg-Eppendorf. Jetzt weiß sie nicht mehr Ein noch Aus - die letzte Heizkostenabrechnung hat sie um den Schlaf gebracht. 1000 Mark soll sie nachzahlen für das letzte Jahr. Dabei zahlte sie bereits Monat für Monat 300 Mark im Voraus.
O-Ton Elisabeth Fiedler:
"Das kann ich mir überhaupt nicht erklären. Das geht doch jetzt das ganze Jahr hindurch. Und ich habe doch nur ein paar Monate geheizt. Ich habe doch auch nicht so viel geheizt. Ich bin gar nicht so für überheizte Räume. Ich bitte Sie, ich kann doch nicht solche Rechnungen kriegen."
Frau Fiedlers Wohnung wird mit Fernwärme beheizt. Fernwärme ist eine besonders ökologische Heizenergie. Sie wird vorrangig aus der Abwärme von Strom-Kraftwerken gewonnen. Die hohen Öl- und Gaspreise haben auf die Fernwärme keinen Einfluss. Umso erstaunlicher ist der enorme Fernwärmepreis von Frau Fiedler.
Jedoch: absolut kein Einzelfall.
Die Arbeitsgruppe Energie in München hat Fernwärme-Heizkostenabrechnungen in vielen deutschen Großstädten überprüft. Sie fand unzählige Fälle, bei denen trotz sparsamen Verbrauchs irrsinnig hohe Heizkosten entstanden:
O-Ton Johannes D. Hengstenberg, Arbeitsgruppe Energie:
"Wir haben fernwärmebeheizte Gebäude untersucht - bundesweit viele tausend Stück - und haben festgestellt, dass es massive Überzahlungen gibt - Überzahlungen, die wir bundesweit auf über eine halbe Milliarde Mark schätzen. In Hamburg zum Beispiel dreißig Millionen Mark im Jahr, in München vierzig Millionen. Für die einzelnen Wohnungen bedeutet das Überzahlungen von drei-, vierhundert, sechshundert Mark pro Jahr."
Oder noch vielmehr. Auch für die Wohnung von Elisabeth Fiedler hat die Arbeitsgruppe-Energie jetzt ein Gutachten erstellt. Ergebnis: Frau Fiedler zahlt 1500 Mark zuviel im Jahr. Sie kann es nicht fassen.
O-Ton Elisabeth Fiedler:
"Wie Menschen das fertigbekommen, eine so hohe Überzahlung zu fordern. Das kann ich einfach nicht begreifen, wie man Mieter so ausnutzen kann."
Trotz geringen Verbrauchs unglaublich hohe Heizkosten
Trotz geringen Verbrauchs unglaublich hohe Heizkosten?. Der Grund liegt in der Abrechnungsweise der Energieversorger.
Die meisten Energieversorger teilen den Fernwärmepreis in einen Leistungspreis und einen Arbeitspreis auf. Den Leistungspreis zahlt man für die Bereitstellung der Wärme. Er ist eine Art Grundgebühr . Mit dem Arbeitspreis dagegen bezahlt man den tatsächlichen Verbrauch.
In Hamburg ein krasses Misverhältnis: Hier beträgt der Leistungspreis 66 Prozent des Gesamt-Preises. Der tatsächliche Verbrauch geht nur zu 34 Prozent in die Rechnung ein.
Elisabeth Fiedler heizt kaum, kontrolliert genau ihren Verbrauch. Doch selbst wenn sie überhaupt nicht heizen würde, müsste sie Monat für Monat 200 Mark Grundgebühr bezahlen - eben den hohen Leistungspreis.
Dieser Leistungspreis - die Grundgebühr - ergibt sich aus dem Wärmebedarf eines Gebäudes. Doch der Wärmebedarf wird von den Energieversorgern meistens viel zu hoch eingeschätzt. Viel zuviel Energie - die die Mieter gar nicht nutzen - wird sinnlos in die Häuser gepumpt.
O-Ton Johannes D. Hengstenberg, Arbeitsgruppe Energie:
"Diese Überzahlungen resultieren aus einer Fehleinschätzung des Wärmebedarfs der Gebäude. Diese Überzahlungen betragen für ein einzelnes Gebäude 10, 20, 30 000 Mark und werden auch über Jahre hinweg nicht korrigiert."
Der Leistungspreis, der vom Mieter bezahlt werden muss, würde für sibirische Winter reichen. So zahlt man jahrelang für etwas, das man gar nicht braucht. Die Energieversorger wissen das ganz genau.
O-Ton Johannes D. Hengstenberg, Arbeitsgruppe Energie:
"Die Energieversorger sind die Profis, und die sehen sehr wohl , wann ein Hauseigentümer zuviel Leistung bestellt hat. Das sehen sie vor allem am überhöhten Preis. Und sie könnten das korrigieren, tun dies aber nicht."
Beispiel: ein Mietshaus in Hamburg-Eppendorf. Hier zahlen die Mieter pro Quadratmeter im Jahr 24 Mark 52 Heizkosten. Zum Vergleich: Ein Mietshaus in Hamburg-Barmbeck, gleich groß, gleicher Verbrauch. Die Heizkosten hier: nur 18 Mark 28 pro Quadratmeter - 25 Prozent weniger. Denn hier ist der Wärmebedarf korrekt eingestellt.
Die Korrektur des Leistungspreises ist sehr einfach. Die Hausverwaltung muss nur den Energieversorger auffordern, den Wärmebedarf zu überprüfen. Ist er zu hoch, dreht ein Monteur einfach an der Schraube des Heißwasserdurchflusses und schon ist der Wärmebedarf reduziert und optimal angepasst.
Die Hausverwaltungen machen das Spiel mit
Jedoch: Die Hausverwaltungen oder Eigentümer melden sich nur selten bei den Energieversorgern. Sie wissen gar nicht, dass man den Wärmebedarf reduzieren kann, und: Sie müssen die Heizkosten schließlich nicht bezahlen, sondern die Mieter.
Elisabeth Fiedler hat mehrfach ihre Hausverwaltung HIH Johannes Reese angerufen, ist sogar hingefahren, doch geholfen hat man ihr nicht.
O-Ton Elisabeth Fiedler:
"Ich habe im Gegenteil so das Gefühl, als ob es sie stört, wenn ich mal frage und dass ich froh sein könnte, hier wohnen zu dürfen. Und was ich denn für Beschwerden hätte, das könnten sie nicht verstehen."
Schlimmer noch: Die Hausverwaltungen werden in der Regel prozentual nach den Brutto-Warmmieten entlohnt. Je höher die Miete inklusive der Heizkosten ist, desto höher ist der Verdienst der Hausverwaltung.
Ein Skandal meint der Chef des Deutschen Mieterbunds, Franz Georg Rips, dass die Hausverwaltungen an den hohen Heizkosten kräftig mitverdienen dürfen.
O-Ton Franz-Georg Rips, Deutscher Mieterbund:
"Das ist ein absolutes Unding. Es müsste ja eigentlich genau umgekehrt sein. Eine erfolgreiche Hausverwaltung, also mit möglichst wenig Bewirtschaftungskosten, müsste belohnt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn man schlampt, wenn man hohe Kosten produziert, wird man wirtschaftlich dafür noch belohnt. Das kann natürlich nicht richtig sein."
Die Hausverwaltung HIH-Johannes Reese hat "Kontraste" gegenüber ein Interview abgelehnt - aus Zeitgründen, wie es hieß.
Hauptproblem sind aber die Energiekonzerne mit ihrer mieterunfreundlichen Preisgestaltung. Die Hamburger Elektrizitätswerke rechtfertigen die extrem hohe Grundgebühr - den Leistungspreis - mit angeblich hohen Investitionen in die Fernwärme.
O-Ton Mario Spitzmüller, Hamburgische Electricitätswerke:
"Diese Investitionen für ein Leitungsnetz, für die Übergabestation, für die Kundenanlagen. Wir haben mehr Personalaufwand als zum Beispiel für Gas oder Strom. All das schlägt sich in einem Grundpreis nieder. Das ist damit gerechtfertigt."
Nach ein paar warmen Wintern wären die Energieversorger ohne Grundgebühr pleite, sagen sie. Denn: Die Kosten für das teure Netz würden auch anfallen, wenn keine Fernwärme verbraucht würde. So wird laufend Wärme ins Netz gepumpt. Die Mieter müssen zahlen, ohne sie abzunehmen. Blanker Unfug: Es geht auch anders.
Beispiel Kiel: Es geht auch anders
Die Stadt Kiel. Dort gibt es seit Jahren nur einen Verbrauchspreis. Der Kunde zahlt, was er wirklich verbraucht, nicht mehr. Pleite sind die Stadtwerke deswegen nicht - im Gegenteil.
O-Ton Eckhardt Sauerbaum, Kieler Stadtwerke:
"Die Ergebnisse der letzten Jahre widerlegen diese Vorwürfe. Wir haben eigentlich immer nur milde Winter gehabt und unsere Jahresergebnisse in der Fernwärme haben sich von Jahr zu Jahr nicht verschlechtert, sondern verbessert."
Modernes Energiemanagement mit neuester Technik. Die Kieler produzieren nur das, was wirklich abgenommen wird. Und nur das müssen die Kieler Mieter bezahlen.
Frage Autor: "Warum können das die Kieler, warum können das die HEW nicht?"
Mario Spitzmüller, Hamburgische Electricitätswerke: -----,,----- (Schweigen)
Die Preise sprechen für sich: Im Vergleich zu den Hamburger Mietshäusern beträgt der Preis für ein ähnliches Kieler Haus im Jahr nur 10 Mark 99 pro Quadratmeter - rund die Hälfte der Hamburger Preise.
Elisabeth Fiedler in Hamburg wird erdrückt von den drastisch überhöhten Fernwärmerechnungen.
O-Ton Elisabeth Fiedler:
"Also der Heizkosten wegen müsste ich überhaupt sagen, ich bin pleite. Aber ich versuche zu überleben. Ich habe meine Heizung noch mehr reduziert und ich spare ein , wo ich kann und ich spare jede Mark, um keine Schulden zu machen und es ist manchmal wirklich an der Grenze der Verzweifelung."
Ein unheilvolles Zusammenwirken von Energieversorgern und Hausverwaltungen. Die Dummen sind die Mieter, die die Zeche zahlen müssen, ob sie können oder nicht.
* Skript einer ARD-"Kontraste"-Sendung.
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