Schönau ist ansteckend
Bye-Bye Big 4: In den nächsten zwei Jahren laufen in Deutschland über 2.000 Konzessionsverträge aus. Manche Kommune nutzt die Gelegenheit, sich von ihrem Energieversorger zu trennen und das Geschäftsfeld zurückzuerobern: Kommt jetzt die Renaissance der Stadtwerke?
Von Ann-Isabell Thielen
(10. Januar 2010) Es ist die Bilderbuch-Story der Stromversorgung: Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 beschließen besorgte Bürger im idyllischen Schönau, sich für eine nachhaltige Energieversorgung zu engagieren - ohne Atomstrom. Neun Jahre später übernehmen die „Stromrebellen" im Südschwarzwald trotz starkem Gegenwind das örtliche Stromnetz. Heute versorgen die Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS) bundesweit 86.000 Kunden mit Strom aus nachhaltiger Produktion - ein Erfolgsmodell auf der ganzen Linie, auch für Schönau: Das Unternehmen spült jährlich zuverlässig Gewerbesteuer in die Kassen der Kommune und sichert wertvolle Arbeitsplätze.

Schönau war der Vorreiter, viele weitere Beispiele könnten folgen: Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts trend:research befassen sich derzeit rund 50 Prozent der deutschen Kommunen mit einer Rekommunalisierung der Energieversorgung. Bis 2011 werden etwa 2.000 Konzessionsverträge neu verhandelt. Zwar strebt nicht jede Gemeinde eine Übernahme der Energieversorgung oder einen Rückkauf des Netzes an. Oft fehlt den überschuldeten Kommunen schlichtweg das nötige „Kleingeld". Doch laut einer Umfrage hält immerhin ein Sechstel die Übernahme der Energieversorgung für sinnvoll.
Stadtwerke genießen Vertrauen
Denn ein Stadtwerk kann in wirtschaftlich harten Zeiten den Kommunen Einkünfte und Arbeitsplätze sichern. Viele Gemeinden versprechen sich Synergieeffekte, weil sie mehrere Versorgungssparten bedienen. Auch der Kunde profitiert, denn laut Umfragen genießen kommunale Versorger das Vertrauen der Verbraucher.
Unter Umständen steigt sogar die Versorgungssicherheit, etwa in Schneverdingen in der Lüneburger Heide: Dort ersetzten die Stadtwerke binnen fünf Jahren nach der Netzübernahme alle Freileitungen durch Erdkabel, um Stromausfälle zu minimieren.
Derzeit schießt eine neue Generation regionaler Versorger aus dem Boden, zum Beispiel am Bodensee: Sieben Gemeinden gründeten dort den Regionalverband Bodensee. Auch die beiden südbadischen Gemeinden Müllheim und Staufen haben ein gemeinsames Stadtwerk gegründet. Und in Gomaringen bei Tübingen verkaufte EnBW das kommunale Netz an FairEnergie GmbH, einer Tochter der Stadtwerke Reutlingen GmbH.
Langer Atem nötig
Egal, ob Netzübernahme, Neugründung oder Ausweitung des Netzes - in der Regel stoßen die Kommunen teilweise auf erbitterten Widerstand bei den Versorgern. So rückte die Energie Baden-Württemberg (EnBW) gleich mit acht Vertretern an, um den Gemeinderäten im schwäbischen Mainhardt die Idee von einem eigenen Stadtwerk auszureden. Sie beschworen ein Horrorszenario von Arbeitsplatzabbau und steigenden Strompreisen herauf. Vergeblich: Seit April 2009 gibt es nun die Energieversorgung Mainhardt Wüstenrot GmbH & Co. KG (EMW): Mainhardt und die Nachbarkommune hatten sich zusammengeschlossen und halten jeweils 26,2 Prozent der Stadtwerksanteile. Die restlichen Anteile liegen bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall, der die EMW das Netz verpachtet. EMW erhält von beiden Gemeinden einen Konzessionsvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren.
Noch legt die EnBW der Neugründung jedoch Steine in den Weg: Fünf Millionen Euro wollte EnBW ursprünglich für das Netz haben. Bürgermeister Karl-Heinz Hedrich hingegen beziffert den Wert des Netzes gerade mal auf die Hälfte. Eine Einigung steht noch aus.
Solche überhöhten Forderungen behindern vielerorts die Rekommunalisierung. Auch die Schönauer Stromrebellen können davon ein Lied singen. Die EWS hatten 1997, als sie das Schönauer Stromnetz übernahmen, einen Preis von 5.837.410 DM bezahlt. Ursprünglich verlangte der Vorbesitzer des Netzes KWR 8,7 Millionen DM. Der gerichtlich bestelltem Obergutachter schätzte das Netz auf letztlich nur 3,5 Millionen DM - die KWR mussten die Differenz zu den bezahlten 5.837.410 DM an die EWS samt Zinsen zurückerstatten. Den Netzkaufpreis finanzierten die EWS damals mit einer beispiellosen bundesweiten Spendenkampagne.
Gleichfalls einem Phantasiepreis sahen sich die Stadtwerke Waldkirch bei Freiburg im Breisgau gegenüber: Zunächst forderte das Badenwerk (heute EnBW) 35 Millionen für das Stromnetz. Nach jahrelangen Verhandlungen sank der Preis auf unter zwölf Millionen Mark. Und nicht nur der Preis ist oft Verhandlungssache: Als die Stadtwerke im hessischen Wolfhagen ihr Stromnetz um elf Stadtteile erweitern wollte, plante E.on Mitte, zunächst nur die Niederspannungsnetze zu übergeben. Darüber hinaus forderte der Energieversorger zunächst einen doppelt so hohen Kaufpreis wie die Summe, die die Stadtwerke letztlich (unter Vorbehalt) zahlten. Die Verhandlungen und Wertermittlungen zogen sich über vier Jahre hin - ebenfalls typisch für die Rekommunalisierung. Laut Martin Rühl, dem Geschäftsführer der Stadtwerke, kam es zudem immer wieder zu „Manövern und Irritationsversuchen des Verkäufers".
Nachhaltige Energiepolitik
Manche Kommunen möchten mit eigenen Stadtwerken ihren Einfluss auf die Energiepolitik zurückgewinnen. So auch Hamburg, das seit diesem Jahr wieder einen eigenen Energieversorger hat: Hamburg Energie, eine 100-prozentige Tochter der Hamburger Wasserwerke GmbH und damit im Besitz der Stadt. Das Unternehmen wirbt damit, einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten zu wollen. Mittlerweile versorgt Hamburg Energie die Hansestadt und umliegende Gemeinden mit klimafreundlicher Energie - frei von Kohle- und Atomstrom. Laut eigenen Angaben investiert der Versorger bereits im ersten Jahr 25 Millionen Euro in den Bau eigener Wind- und Solaranlagen.
Weitere Informationen:
www.vku.de Konzessionsverträge: Handlungsoptionen für Kommunen und Stadtwerke (PDF, 1,34 MB)
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