Haushaltskunden gucken in die Röhre
Von einem funktionierenden Wettbewerb auf dem Strommarkt kann immer noch keine Rede sein: Obwohl Industriekunden von den drastisch sinkenden Großhandelspreisen profitieren, merken die Haushaltskunden davon überhaupt nichts. Im Gegenteil: Die Preise für Privatkunden kennen nur eine Richtung - weiter nach oben.
Von Energiewirtschaftler Gunnar Harms
(15. März 2010) Von 2008 nach 2009 sind die Preise an der Strombörse EEX um fast 50 Prozent (Spot) und 30 Prozent (Termin Frontjahr) gefallen. Die Strompreise für Industriekunden haben ziemlich genau im gleichen Ausmaß nachgegeben, während die Strompreise für Haushaltskunden stetig weiter kletterten (Grafik). Selbst wenn man unterstellt, dass die Strompreise auf der Großhandelsebene marktgerecht zustande kommen - woran sehr begründete Zweifel bestehen (siehe diverse Gutachten und Studien dazu, sowie Strafanzeigen gegen E.on und RWE) - zeigt die einfache Auswertung statistischer Daten eindrucksvoll, wie Haushaltskunden systematisch ins Hintertreffen geraten.

Gunnar Harms
Ingenieur für Energietechnik, Mitglied des Vereinsvorstandes des Bundes der Energieverbraucher, Produktmanager für Energie in einem Industriepark
Duopol diktiert die Preise
Das verwundert nicht, denn die Stromerzeugung in Deutschland befindet sich fast ausschließlich in der Hand des marktbeherrschenden Duopols von RWE und E.on. Zwar haben sich neue Anbieter in den vergangenen Jahren mühsam etabliert. Doch so lange sie ihren Strom auf dem von den beiden beherrschten Großhandelsmarkt einkaufen müssen, haben sie keine Chance, sich dem vorgegebenen Trend zu entziehen.
Nur Industriekunden profitieren von sinkenden Preisen an der Strombörse
Günstige Strompreise gibt es nur für das attraktive und wettbewerbsintensive Segment der industriellen Großkunden. Privatkunden hingegen bleiben auf den hohen Preisen sitzen. Statistiken zeigen, dass im übrigen Europa Haushaltskunden schon im ersten Halbjahr 2009 von sinkenden Preisen profitiert haben. Warum nicht hierzulande? Es ist Aufgabe der Kartellbehörden, zu analysieren, was in diesem sehr ungleichen Markt los ist: Warum werden Kostenvorteile nur an eine Kundengruppe weitergegeben?
Zweierlei Kalkulationen?
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft argumentiert, dass die Versorger unterschiedliche Einkaufsstrategien für ihre Kundensegmente verfolgen: Für risikobehaftete, größere Kunden beschaffen sie marktnahe Tarife, während sie für das stabile Kleinkundengeschäft viel weiter im Voraus auf Termin kalkulieren. Deshalb schlagen sich Preisveränderungen erst sehr viel später durch.
Das klingt zwar plausibel und wird sicherlich einen gewissen Anteil an der Preisbildung erklären. Doch auf der anderen Seite bekommen Privatkunden Preisanstiege umgehend und in voller Höhe zu spüren - und das schon seit vielen Jahren. Nach unten ging es - mindestens bereits seit der Jahrtausendwende - schon lange nicht mehr. Es handelt sich also um eine reine Schutzbehauptung der Versorger, die die Privatkunden weiter ungeniert zur Kasse bitten.
Deutschland braucht dringend unabhängige Stromerzeuger, die den gefestigten Strukturen der großen Verbundunternehmen die Stirn bieten. Nur sie können neue Anbieter in die Lage versetzen, unabhängig von den manipulierten Großhandelspreisen zu kalkulieren.

Die Industriestrompreise sinken mit den Strombeschaffungskosten, die Haushaltsstrompreise dagegen nicht.
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