Die große Einigkeit von Lauterstein
Im württembergischen Landkreis Göppingen entsteht der größte Windpark des südlichen Bundeslandes – und niemand hat etwas dagegen einzuwenden, berichtet Bernward Janzing.
(23. Juni 2016) Michael Lenz spricht gerne von „Tuchfühlung“, und das sagt viel darüber aus, wie er Kommunalpolitik versteht: „Man muss immer auf Tuchfühlung zur Bürgerschaft sein“. Schließlich treffe man die Menschen der Stadt beim Bäcker und auch im Schwimmbad. Im persönlichen Gespräch könne man sehr genau heraushören, wo der Schuh drückt.

Bernward Janzing | Freier Autor aus Freiburg, schreibt u. a. für taz, Spiegel, Stern und Die Zeit.
Der Bürgermeister kann zuhören
Lenz ist Bürgermeister der schwäbischen Stadt Lauterstein. Gerade Ende Dreißig ist er und schon seit zehn Jahren im Amt – ein Mann, der gerne redet, Fragen ausführlich beantwortet, aber eben auch zuhören kann. Einer, der die Sprache der Menschen am Fuße des Albtraufs spricht, ist er doch im Nachbarort aufgewachsen. Der gleiche Dialekt schafft Vertrautheit – das ist oft wichtig in der Kommunalpolitik.
Und so sitzt er im Besprechungsraum des Rathauses der 2600-Seelen-Gemeinde und erzählt, wie Lauterstein es schaffte, den derzeit größten Windpark Baden-Württembergs auf den Weg zu bringen, ohne dass es „erkennbaren Bürgerprotest“ gab, wie er es formuliert. Dann spricht er vom Zuhören, vom Suchen nach Kompromissen und davon, die richtigen Partner mit ins Boot zu nehmen. Als eine Mischung aus „Diakon, Controller und Eigenheimverkäufer“ hat ihn die Wochenzeitschrift „die Zeit“ einmal beschrieben.

Erster Spatenstich für den Windpark September 2016
Manchmal sind es die scheinbar kleinen Dinge, mit denen man Vertrauen schaffen kann. Im Rahmen der Genehmigung des Windparks war es vorgesehen, die Unterlagen in Göppingen zur Einsicht auszulegen. Doch die Kreisstadt liegt
20 Kilometer von Lauterstein entfernt. So holte der Bürgermeister die Akten kurzerhand auch ins örtliche Rathaus. Ganze vier Einwendungen habe es gegeben, und die seien auch noch „höchst konstruktiv“ gewesen. Die anschließende Bürgerversammlung sei in gelassener Atmosphäre verlaufen, und der Gemeinderat habe den Windpark einstimmig befürwortet.
Vielleicht hänge es ja außerdem damit zusammen, das man hier im Ort, vor der landschaftlich reizvollen Kulisse der Alb, die politischen Kontroversen traditionell sehr sachlich austrage, fügt der Bürgermeister noch hinzu. Der Gemeinderat dort kennt schließlich keine Fraktionen, er konstituiert sich auf der Basis von zwei Bürgerlisten. Das führe auch dazu, dass man sich mehr auf die Sachfragen als auf parteipolitisches Geplänkel konzentriere. Ländlicher Pragmatismus eben.
Vorläuferprojekt scheiterte in den 1990er Jahren
Und dennoch: Man ist in dieser Stadt nicht immer so begeistert gewesen von der Windkraft. Als in den neunziger Jahren ein Vorläuferprojekt geplant war, stemmte sich der damalige Bürgermeister dagegen. Unseriöse Argumente wurden vorgebracht, etwa, dass die Anlagen die Quellen am Ort vergiften würden. Und weil auch auf Landesebene Ministerpräsident Erwin Teufel die Windkraft nach Kräften torpedierte, scheiterte das Projekt an Behörden und Gerichten. So kann der Windpark Lauterstein heute – neben seiner Größe – noch ein zweites Superlativ für sich in Anspruch nehmen: Derart lange hat kaum ein Projektierer auf einen Park hingearbeitet. Es sind nun genau 20 Jahre.

Projektentwickler Hartmut Brösamle: Tief im Herzen ein richtiger Öko
Der Mann, der das Projekt so hartnäckig vorantrieb, ist Hartmut Brösamle. Sein Büro liegt etwa 70 Kilometer Luftlinie von Lauterstein entfernt, in Bietigheim-Bissingen. 1996 hieß seine Firma noch Enersys, vor zehn Jahren ging sie im wpd-Konzern auf. Das Projekt Lauterstein war für ihn immer ein ganz besonderes – es war sein erstes.
Dass Brösamle nun in der zweiten Runde zum Zuge kam, nachdem im Jahr 2011 auch in Lauterstein die Menschen umdachten – Fukushima und der erste grüne Ministerpräsident hatten ihren Anteil daran – war allerdings nicht ganz selbstverständlich. Denn der Standort war heißbegehrt.
„Es waren unendlich viele konkurrierende Projektierer da“, sagt der Bürgermeister und erklärt auch gleich warum. Mit sehr guten Windverhältnissen, von Siedlungen ausreichend entfernt und zudem aus Sicht des Artenschutzes weitgehend unproblematisch, erfüllt Lauterstein wichtige Kriterien für ein Erfolgsprojekt.
Handeln aus Überzeugung
Aufgrund dieser günstigen Bedingungen hätten Interessenten aus ganz Deutschland damals „eine Goldgräberstimmung verbreitet“, abenteuerliche Renditen seien versprochen worden. Aber der Bürgermeister wollte keinen Projektierer, der aus der Ferne kommt, der mal eben auf einen fahrenden Zug aufspringt, weil es irgendwo Geld zu verdienen gibt. Lieber einen, der die Region kennt, auch den Menschenschlag hier und natürlich das Windgeschäft.
Der Windkraftpionier ist um die fünfzig und man traut ihm zu, die Menschen auf dem Land zu gewinnen. Denn Brösamle ist jemand, der aus Überzeugung handelt, kein schnöseliger Geschäftemacher, das merken die Menschen schnell. In der Presse hat er sich schon damit zitieren lassen, „tief im Herzen ein richtiger Öko“ zu sein. Kaum wundert es, dass er vom Autofahren wenig hält. Im Gespräch lässt er einfließen, dass er Vegetarier ist; er hat die Figur eines Langstreckenläufers.
Kompromissbereitschaft zahlte sich aus
Tatsächlich war beim Windpark Lauterstein jede Menge Durchhaltevermögen nötig. Doch im Rückblick hat sich das erzwungene Warten durchaus gelohnt. Statt 2,4 Megawatt werden nun auf der Alb bei Lauterstein 44 Megawatt realisiert, mit 16 Anlagen zu je 2,75 Megawatt. Die oberste Flügelspitze reicht knapp an die 200 Meter heran. Ursprünglich waren sogar 27 Anlagen geplant, doch im Gespräch mit Segelfliegern verzichteten die Planer auf einige Anlagen. Auch wegen Fledermäusen und Rotmilanen wurden bestimmte Bereiche freigehalten. Als die Kirchengemeinde dann auch noch einen Kilometer Abstand von einer Kapelle wünschte, weil diese einmal jährlich zahlreiche Pilger anzieht, gingen die Planer auch darauf ein und nahmen Änderungen am Standort vor. Es war diese ständige Kompromissbereitschaft, die dem Projekt viele Sympathien brachte.
Zumal auch die neue Platzierung aus Sicht der Talgemeinde Lauterstein viel besser ist als jene aus den Neunzigern. Zwischenzeitlich sind die Anlagen so groß geworden, dass man sie auch mitten in den Wald bauen kann. Also konnten die Rotoren von der Freifläche an der Hangkante der Lützelalb zurückweichen und sind nun vom Tal aus deutlich weniger sichtbar.
Örtliche Bürger beteiligen sich finanziell
Auch die Einbindung lokaler Akteure dürfte stark zum dörflichen Frieden beigetragen haben. Drei der 16 Anlagen übernimmt das örtliche Alb-Elektrizitätswerk. „Das Albwerk ist selbst eine Genossenschaft“, hebt Bürgermeister Lenz hervor – und es scheint in diesem Moment, als liege den Menschen in Schwaben die Genossenschaft nochmal ein Stückchen näher als in manchen anderen Teilen der Republik. Das Albwerk seinerseits wird eine der drei Anlagen über eine Genossenschaft den örtlichen Bürgern anbieten.
Indem das Albwerk nun darauf verweist, „als regional verwurzelter Energieversorger eine entscheidende Rolle bei der Energiewende“ zu spielen, wird deutlich, wie sehr auch dieses Unternehmen seine Einstellung geändert hat. Vor der Jahrtausendwende warnte der Energieversorger noch – in Presseartikeln jener Zeit ist es dokumentiert – vor möglichen Auswirkungen der Rotoren auf die Lebensdauer elektrischer Geräte. Und man verbreitete die Befürchtung, die Aufnahme solcher Strommengen ins Netz sei technisch nicht möglich.
Heute ist davon nichts mehr zu hören, es hat sich eine realistische Sicht der Dinge durchgesetzt. Das Netz ist eben doch stark genug; ein eigenes Umspannwerk wird dafür sorgen, dass die erzeugte Strommenge – rund 120 Millionen Kilowattstunden pro Jahr – direkt ins Hochspannungsnetz fließen kann.
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