Regelenergie

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Regelenergie-Preisexplosion

Von Louis-F. Stahl

(4. März 2021) Damit das Stromnetz funktioniert, muss zu jeder Sekunde so viel Strom erzeugt und in das Netz eingespeist werden, wie von den Verbrauchern entnommen wird. Die prognostizierte Erzeugung sowie Nachfrage führen über den Börsenhandel von Strom zu einer fairen Preisbildung und einer ausreichenden Erzeugung im Gleichgewicht mit der Nachfrage. Für kurzzeitige Abweichungen zwischen den gehandelten und den tatsächlich im Netz fließenden Strommengen wird sogenannte „Regelenergie“ bereitgehalten. Diese können Erzeuger beziehungsweise Verbraucher anbieten, die sich verpflichten – je nach Vertrag – binnen kürzester Zeit für einen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch im Netz zu sorgen. Wie normale Strommengen wird auch Regelenergie an der Börse gehandelt, um eine faire Preisbildung zu ermöglichen.

Vor zwei Jahren entdeckten findige Strombörsenhändler ein Schlupfloch: Wenn die Regelenergie billiger war, als der reguläre Börsenpreis für Strom, kauften Sie einfach keinen Strom und nahmen die als Stabilitätsreserve vorgehaltene Regelenergie in Anspruch. An fünf Tagen des Jahres 2019 schrammte Europa aufgrund dieser Zockerei nur ganz knapp am Blackout vorbei (siehe „Kritische Zustände im Stromnetz“). Um die Blackoutgefahr zu bannen, erhöhte die Bundesnetzagentur im Juni 2019 die Regelenergiemenge, was wiederum die Börsenhändler für Regelenergie ausnutzten und durch eine Verknappung des Angebotes die Preise von rund 15 Cent/kWh auf bis zu 37,85 Euro/kWh explodieren ließen (siehe „Regelenergie-Poker gefährdet Netzstabilität“).

Um den Preistreibern an der Strombörse endlich das Handwerk zu legen, führte die Bundesnetzagentur im November 2020 mit dem „Regelarbeitsmarkt“ ein neues Auktionsverfahren ein – und scheiterten abermals am Einfallsreichtum der Börsenzocker. Das System sah eine Eingabemöglichkeit von maximal 99,99 Euro pro Kilowattstunde vor. Ausreichend Händler trugen diesen Fantasiepreis ein – und erhielten einen Zuschlag. Die Lösung der Bundesnetzagentur: In das System lassen sich seit dem 16. Dezember 2020 nur noch Preise von bis zu 9,99 Euro pro Kilowattstunde eingeben – mit dem erwartbaren Ergebnis, dass diese Spekulationsgrenze jetzt regelmäßig ausgereizt wird.

Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, findet angesichts des Marktversagens an der Strombörse deutliche Worte: „Die ersten Marktdaten zum Regelarbeitsmarkt weisen teilweise auf eine geringe Liquidität und potenziell erhebliche Preissetzungsspielräume einzelner Akteure hin. Das Bundeskartellamt wird die weitere Entwicklung der Marktmachtverhältnisse in diesem Bereich daher sehr genau verfolgen.“

Auch das Bundeswirtschaftsministerium ließ stellvertretend für die Bundesregierung verlauten, dass man die „seit Einführung des Regelarbeitsmarktes […] beobachteten Preise mit Sorge betrachtet“. Eine wirkliche Lösung für das Problem scheinen das Ministerium und die Bundesnetzagentur jedoch noch nicht gefunden zu haben.

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Regelenergie-Poker gefährdet Netzstabilität

Im Juni kam es an drei Tagen erneut zu bedrohlichen Zuständen im europäischen Stromnetz. Über Stunden wuchs das Ungleichgewicht auf bis zu 6.000 Megawatt. Die Ursache ist allem Anschein nach in Deutschland zu suchen. Die Zeche für die Spekulationsexzesse an der Strombörse zahlen die Stromkunden.
Von Louis-F. Stahl

(28. Oktober 2019) Am 6., 12. und 25. Juni 2019 fehlten mehrere tausend Megawatt Regelleistung, um das europäische Stromnetz stabil im Gleichgewicht zu halten. Das an der Strombörse gehandelte Stromvolumen stimmte bei weitem nicht mit dem tatsächlichen Verbrauch und der tatsächlichen Stromerzeugung überein. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber zogen nach dem Ausschöpfen der bereitgehaltenen Regelleistung alle Register: Zwangsweise Abschaltung von Großverbrauchern, kurzfristige Deals mit Großverbrauchern und Kraftwerksbetreibern sowie die Beschaffung von zusätzlicher Leistung am Spotmarkt der Strombörse um jeden Preis und die Anforderung von Unterstützung aus den Nachbarländern. Über die vorgesehene Regelleistungsmenge von 3.000 MW hinaus wurden mit diesen Notfallmaßnahmen nochmals bis zu 3.000 MW mobilisiert. Zeitgleich legten die Strompreise an der Börse eine Achterbahnfahrt hin: Am 6. Juni war der Strompreis bis zum späten Nachmittag durchgehend negativ. Der Verbrauch von Strom wurde mit bis zu 10 Cent/kWh belohnt. Am 12. und 25. Juni folgte das andere Extrem mit Strompreisen von bis zu 57 Cent/kWh. Zum Vergleich: Normalerweise beträgt der Börsenstrompreis rund 3 bis 9 Cent/kWh.

1096 Mensch mit mehreren Monitoren / Foto: biker3 / stock.adobe.com

Regelenergiemarkt

Die Extrempreise an der Strombörse sind jedoch nur ein Symptom. Die Ursache des Problems ist im Regelenergiemarkt zu suchen. Hier schließen die Übertragungsnetzbetreiber mit den Anbietern von Regelleistung in Auktionsverfahren Verträge zur Vorhaltung der Regelleistung zu einem sogenannten Leistungspreis, der über die Netzentgelte von den Stromkunden getragen wird. Wird die Regelleistung tatsächlich in Anspruch genommen, ist zusätzlich ein Arbeitspreis zu zahlen. Diese beanspruchte Regelarbeit müssen diejenigen Stromhändler bezahlen, die ihre Bilanzkreise aufgrund von Prognosefehlern nicht durch Geschäfte an der Börse im Gleichgewicht gehalten haben.

Wenn sich jedoch abzeichnet, dass der Arbeitspreis für die Regelenergie niedriger sein dürfte als der Börsenstrompreis, animiert dies Stromhändler dazu, ihren Strombedarf nicht planmäßig an der Börse zu decken, sondern einen Prognosefehler vorzutäuschen und so die als Stabilitätsreserve vorgehaltene Regelenergie zu beziehen. Ein Phänomen, dass nicht neu ist. So berichtete die Energiedepesche bereits in Heft 2/2019 (S. 12-14) über ähnliche Vorfälle im Dezember 2018 sowie kritische Netzzustände im Januar und April 2019.

Spekulation fördert Spekulation

Um das Risiko eines Blackouts als Folge der Spekulationen deutscher Stromhändler kurzfristig zu entschärfen, haben die Übertragungsnetzbetreiber die Ausschreibungsmenge für Regelleistung erhöht. Dies rief einen neuen Zockertrick auf den Plan: Die Angebotspreise im Rahmen der Auktionen von Regelenergie stiegen exorbitant. Am 29. Juni betrug der Preis von 8 bis 12 Uhr vertretbare 15,2 Cent/kW. Von 12 bis 16 Uhr dieses Tages wurde trotz ausreichender Angebotsmenge der Gebotspreis für Regelenergie durch die Anbieter so weit angehoben, dass Regelenergie bis zu einem völlig überhöhten Preis von 3.785,6 Cent/kW – also beinahe 40 Euro je Kilowatt – bezuschlagt werden musste, um den Bedarf zu decken. Das Fatale: Diesen exorbitanten Leistungspreis zahlen die Stromkunden über die Netzentgelte und sorgen damit für die niedrigen Arbeitspreise der Regelenergie, den sich wiederum die vorsätzlich verzockenden Stromhändler zu Nutze machen und damit den Regelenergiebedarf noch weiter in die Höhe treiben: ein Teufelskreis.

Mischpreissystem gekippt

Als Ursache der Misere sehen viele Marktteilnehmer das Ende letzten Jahres eingeführte Mischpreisverfahren für Regelenergie der Bundesnetzagentur. Eben dieses Preisermittlungsverfahren wurde aus anderen Gründen am 22. Juli 2019 vom Oberlandesgericht Düsseldorf gekippt (Az. VI-3 Kart 806/18). Die Bundesnetzagentur hat angekündigt, das Urteil zu akzeptieren, auf Rechtsmittel zu verzichten und das Mischpreissystem mit sofortiger Wirkung abzuschaffen. Die Rückkehr zum alten Leistungspreissystem ist allerdings keine endgültige Lösung: Dieses System wurde durch das Mischpreissystem nur abgelöst, weil Spekulanten zuvor bereits das Leistungspreissystem auf Kosten der Stromverbraucher aushebelten. Zur langfristigen Lösung des Problems entwickelt die Bundesnetzagentur derzeit ein neues Regelarbeitsmarktsystem.

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