Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 27. Mai 2005
Az: 1 C 262/04
Dieses Urteil aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung nicht mehr aktuell!
Berufungsurteil am LG Karlsruhe vom 03. Februar 2006 - Az: 9 S 300/05
Revision: Beschluss vom BGH am 15. Januar 2008 VIII ZR 351/06
Das Urteil im Wortlaut:
Verkündet am 27.05.2005
In Sachen
Hat das Amtsgericht Karlsruhe
Durch Richter am AG
Auf die mündliche Verhandlung vom 1.3.2005
Für Recht erkannt:
- Die Klage wird abgewiesen
- Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin, bei der es sich um ein Energieversorgungsunternehmen handelt, nimmt den Beklagten auf Zahlung des Entgelts für Erdgaslieferungen für das im Eigentum des Beklagten stehende Anwesen in Anspruch.
Das fragliche Anwesen, das in der Zeit vom Oktober 2001 bis Juli 2002 unter Zwangsverwaltung stand, besteht aus mehreren Wohnungen, die von dem Beklagten vermietet werden und jeweils über eine Gasetagenheizung verfügen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist zum einen ein Betrag i.H.v. EUR 1.621,75 gemäß Rechnung der Klägerin vom 26.09.2002 (AS 27/29). Die Rechnung erfasst den Abrechnungszeitraum 31. August 2001 bis 02. September 2002 und bezieht sich auf eine bis zum 10.04.2001 von dem ehemaligen Mieter des Beklagten bewohnte Wohnung. Der Mieter hatte den mit der Klägerin bestehenden Gasversorgungsvertrag zum 10.04.2001 aufgekündigt, seinen Auszug zu diesem Termin bekannt gegeben und außerdem den Beklagten als Nachfolger benannt, woraufhin die Klägerin dem Beklagten eine Vertragsbestätigung vom 12.04.2001 (AS 103) übersandte. Nach Erhalt der Rechnung vom 26.09.2002 sandte der Beklagte die Rechnung an die Klägerin zurück mit dem Vermerk "Mieter ab 01.11.2002".
Die Klägerin erstellte daraufhin mit Rechnung vom 11.11.2002 (AS 31/33) für die betreffende Wohnung hinsichtlich des Zeitraums 03.09.2002 bis 31.10.2002 eine weitere Rechnung an den Beklagten über einen Betrag i.H.v. EUR 255,63, der ebenfalls Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.
Darüber hinaus macht die Klägerin einen Betrag i.H.v. EUR 108,27 aus einer weiteren Rechnung vom 26.09.2002 (AS 35/37) geltend, die sich auf den Abrechnungszeitraum 01.01.2002 bis 02.09.2002 bezieht. Diese Rechnung betrifft eine weitere Mietwohnung im Anwesen des Beklagten, die bis zum 31.12.2001 von dem Mieter des Beklagten bewohnt wurde, der den zwischen ihm und der Klägerin bestehenden Versorgungsvertrag zum 31.12.2001 gekündigt hatte. Die Klägerin übersandte dem Beklagten daraufhin eine Vertragsbestätigungn vom 11.01.2002 (AS 109). Nach Erhalt der Rechnung vom 26.09.2002 sandte der Beklagte die Rechnung mit dem Vermerk zurück, dass die Wohnung ab dem 01.06.2002 an eine Frau vermietet sei.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte sei zur Begleichung der Rechnungsbeträge verpflichtet, weil er für die abgerechneten Zeiträume ihr Vertragspartner sei. Nach Abmeldung durch den Mieter werde der Vermieter entsprechend den AVBGasV Vertragspartner bis ein neuer Mieter gemeldet werde. Dem Beklagten sei ihre Vorgehensweise bezüglich leerstehender Mietwohnungen aufgrund der seit Jahren häufigen Mieterwechsel im Anwesen des Beklagten auch bekannt gewesen; eine Monierung bzw. Zurückweisung der ihm übersandten Vertragsbestätigungen sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt.
Der tatsächliche Verbrauch sei in den streitgegenständlichen Rechnungen zutreffend erfasst; die abgerechneten Preise seien der Höhe nach angemessen und ortsüblich, was sich schon daraus ergebe, dass die Kartellbehörde des Landes Rheinland-Pfalz im Oktober 2001 ihre Preise für den streitgegenständlichen Zeitraum kartellrechtlich überprüft und nicht beanstandet habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags zur Angemessenheit der Preise wird auf die Seiten 12 und 13 des Schriftsatzes vom 19.01.2005 (AS 209/211) Bezug genommen.
Die Klägerin vertritt im Übrigen die Auffassung, dass ihre Preise keiner Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB unterlägen; im Hinblick auf die veränderte Rechtslage durch Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes 1998 sowie der GWB-Novelle zum 01.01.1999 sei die vor diesem Zeitpunkt ergangene Rechtsprechung nicht mehr anwendbar. Im Hinblick darauf, dass der seit 1999 geltende § 33 GWB nunmehr im Falle von Preismißbräuchen eines marktbeherrschenden Versorgungsunternehmens jedem Kunden unmittelbare Schadenersatzansprüche gewähre, fehle es an der für eine analoge Anwendung erforderlichen Gesetzeslücke. Außerdem führe die analoge Anwendung von § 315 BGB zu Offenlegungspflichten des Versorgungsunternehmens, die im aktuellen wettbewerblichen Umfeld nicht mehr hinnehmbar seien, weil die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen mit schweren wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein könne. Zudem führe die richterliche Überprüfung der Preisgestaltung nach § 315 BGB häufig zu willkürlichen oder zufälligen Ergebnissen, wobei außerdem fraglich sei, nach welchen Kriterien ein Zivilgericht die Angemessenheit von Energiepreisen beurteilen solle. Demgegenüber biete das Kartellrecht für die Preiskontrolle strukturierte Verfahren und den erforderlichen Schutz der Geschäftsgeheimnisse für die überprüften Unternehmen; außerdem wirke eine kartellrechtliche Preismissbrauchsverfügung einheitlich auf sämtliche bestehenden Lieferverhältnisse ein, während eine Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB auf den Einzelfall beschränkt sei und nicht auf Massenschuldverhältnisse wie Energielieferungsverträge passe. Wegen der Einzelheiten des klägerichen Vortrags in diesem Zusammenhang wird auf die Seiten 5 bis 12 des Schriftsatzes vom 19.01.2005 (AS 195-209) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.985,65 nebst 9 % Zinsen hieraus seit dem 11.11.2003 sowie weitere EUR 7,67 vorgerichtliche Mahnauslagen zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass er nicht Vertragspartner der Klägerin hinsichtlich der abgerechneten Gaslieferungen gewesen sei. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin mit den einzelnen Mietern jeweils Versorgungsverträge abgeschlossen habe und er selbst zu keinem Zeitpunkt Gas entnommen habe, sei ein Vertrag mit ihm nicht zustande gekommen. Er habe auf die ihm übersandten Bestätigungen der Klägerin im Übrigen dergestalt reagiert, dass er in der Filiale der Klägerin in Schifferstadt vorstellig geworden sei und mitgeteilt habe, dass er für die Kosten nicht aufkommen werde, sondern die Klägerin die Gaszähler ausbauen solle.
Der Beklagte bestreitet den geltend gemachten Gasbezug mit Nichtwissen und darüber hinaus auch die Ortsüblichkeit und Angemessenheit der abgerechneten Beträge und macht geltend, dass das Entgelt auch nicht der Billigkeit entspreche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin kann Zahlung der geltend gemachten Beträge aus den streitgegenständlichen Rechnungen gemäß § 433 Abs. 2 BGB von dem Beklagten nicht verlangen.
Es kann dahinstehen, ob zwischen den Parteien Gasversorgungsverträge hinsichtlich der abgerechneten Verbrauchsstellen sowie der abgerechneten Zeiträume, die als Kaufverträge zu qualifizieren wären (vgl. hierzu z. B. Palandt/Putzo, BGB, 64. Aufl., § 433 Rdnr. 8), denn die Klägerin hat einen ihr möglicherweise dem Grunde nach zustehenden Anspruch jedenfalls der Höhe nach nicht ausreichend dargelegt, weil es an ausreichendem Tatsachenvortrag zur Billigkeit der abgerechneten Tarife fehlt.
Es ist seit langem in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. z. B. BGH NJW 2003, 3131; NJW-RR 1992, 183 ff.; NJW 1992, 171 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 17.02.2005, 2 U 84/04; Kammergericht, Urteil vom 15.02.2005, 7 U 140/04; LG Berlin NJW-RR 2002, 992 ff.) und entspricht auch der überwiegend in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung (vgl. z. B. Gottwald in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl., § 315 Rdnr. 22; Erman/Hager, BGB, 11. Aufl., § 315 Rdnr. 12; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, August 2004, § 315 Rdnr. 3; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 315 Rdnr. 4), dass die Tarife von Unternehmen, die im Rahmen eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, grundsätzlich einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind. Diese Rechtssprechung bezieht sich auf alle Bereiche der Daseinsvorsorge, betrifft insbesondere auch das Verhältnis zwischen Endverbrauchern und Energieversorgungsunternehmen (vgl. z. B. AG Bad Neuenahr-Ahrweiler NJW 1998, 2540 ff.; BGH NJW 2003, 1449 ff.) und ist daher auch im Streitfall einschlägig, denn die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass für die streitigen Verbrauchsstellen die Möglichkeit des Gasbezugs von einem anderen Anbieter bestanden hätte.
Danach sind auch die vorliegend von der Klägerin berechneten Preise einer Überprüfung auf ihre Billigkeit zu unterziehen; die von der Klägerin gegen eine Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB ins Feld geführten Argumente vermögen eine andere Beurteilung und ein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung nicht zu begründen.
Soweit die Klägerin auf die infolge des Energiewirtschaftsgesetzes 1998 eingetretene Liberalisierung des Marktes für die leitungsgebundene Strom- und Gasversorgung abhebt, vermag dieser Gesichtspunkt im Streitfall schon deshalb nicht zu überzeugen, weil unstreitig für den Beklagten keine Alternative zu einem Gasbezug bei der Klägerin bestanden hätte.
Auch der Hinweis auf die Änderung des Kartellrechts zum 01.01.1999 trägt eine abweichende Beurteilung nicht. Die kartellrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten wie etwa der von der Klägerin angesprochene Schadensersatzanspruch gemäß § 33 GWB schließen die analoge Anwendung der Regelung in § 315 Abs. 3 BGB nicht aus. Denn wie der Bundesgerichtshof bereits in der Entscheidung vom 05.02.2003 (NJW 2003, 1449 ff.) nochmals bestätigt hat, fallen die Grenzen des allgemeinen Mißbrauchs- und Diskriminierungsverbots nicht mit den Grenzen der Billigkeitsentscheidung nach § 315 BGB zusammen. Während nämlich die kartellrechtlichen Bestimmungen allein diejenigen Nachteile ausgleichen wollen, die sich aus dem fehlenden Wettbewerb ergeben, soll § 315 BGB im Unterschied dazu die der einen Vertragspartei übertragene Rechtsmacht, den Inhalt des Vertrages einseitig festzusetzen, eingrenzen. Es ist nicht ersichtlich, dass sich an dieser unterschiedlichen Zielrichtung durch die Novellierung des Kartellrechts zum 01.01.1999 etwas geändert hätte. Sofern der Bundesgerichtshof diese anders beurteilen sollte, wäre im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.02.2003 die GWB-Novelle bereits Jahre zurück lag, sicherlich - auch wenn für den dort maßgeblichen Sachverhalt noch das GWB in das bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung anzuwenden war - ein entsprechender Hinweis erfolgt. Aus diesem Grund vermögen auch die von der Klägerin zitierten Urteile der Landgerichte Bremen und Köln (RbE 2004, 304 ff.) nicht zu überzeugen.
Die weiteren von der Klägerin über die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB vorgebrachten Argumente knüpfen nicht an eine Änderung des Kartellrechts an, stehen insbesondere mit der Änderung des Kartellrechts nicht im Zusammenhang, und sind daher nicht geeignet, eine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung zu begründen. Weshalb die richterliche Überprüfung der Preisgestaltung nach § 315 BGB zu willkürlichen und zufälligen Ergebnissen führen soll, ist nicht ersichtlich, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass dem Bestimmungsberechtigten ein Ermessensspielraum zusteht und die Bestimmung nur dann durch das Gericht zu ersetzen ist, wenn die durch § 315 Abs. 3 BGB mit dem dortigen Hinweis auf die Billigkeit gezogenen Grenzen überschritten sind, nicht dagegen schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (vgl. BGH NJW-RR 1991, 1248).
Soweit die Klägerin die Frage nach Beurteilungskriterien für die Entscheidung über die Billigkeit der Preisbemessung aufwirft, ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 02.10.1991 die Maßstäbe aufgezeigt hat, an denen sich die Beurteilung zu orientieren hat. Der Umstand schließlich das sich die Klägerin bzw. andere Energieversorger ggfs. einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten wegen ihrer Preisbemessung ausgesetzt sehen, ist kein tragfähiges Argument, eine zivilrechtliche Preiskontrolle auszuschließen.
Ob - was der Beklagte bestreitet - die von der Klägerin in Rechnung gestellten Preise der Billigkeit entsprechen, kann im Streitfall mangels ausreichenden klägerischen Vortrags nicht beurteilt werden, was zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin geht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGH 2003, 3131 ff. mwN.), dass das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei Festsetzung des Leistungsentgelts trifft, wenn das Versorgungsunternehmen hieraus Ansprüche gegen die andere Vertragspartei geltend macht. Ihrer Darlegungslast hat die Klägerin mit dem bloßen Hinweis auf eine kartellrechtliche Überprüfung und den Vergleich mit Preisen anderer Versorgungsunternehmen nicht genügt.
Nach ständiger Rechtsprechung beschränkt sich die Billigkeitskontrolle nicht auf einen Preisvergleich, ebensowenig steht eine behördliche Genehmigung des Tarifs einer Billigkeitskontrolle entgegen (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183 ff.). Maßgeblich ist vielmehr unter Berücksichtigung des das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Grundsatzes, dass die Energieversorgung so preiswürdig wie möglich zu gestalten ist, die Kosten- und Gewinnsituation. Demgemäß erfordert die Substanziierung der Billigkeit einer Preisbestimmung nach § 315 Abs. 3 BGB regelmäßig, dass der Energieversorger seine Preiskalkulation offenlegt (BGH, aaO.). Da es an einem derart substanziierten Vortrag der Klägerin fehlt, kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht, weil unsubstanziierter Vortrag von vornherein unerheblich und daher einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist.
Die Klage war demgemäß insgesamt mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZP.
Richter am Amtsgericht
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