Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Februar 2010

Az: 19 U 143/09

Kommentar von Prof. Dr. Kurt Markert:

Das für den Gaskunden, der die Rückzahlung der auf eine rechtsunwirksame Preisanpassungsklausel gestützten Gaspreiserhöhungsbeträge ab 2006 eingeklagt hatte, im Ergebnis wenig erfreuliche Urteil (nur knapp 20 % der fast beanspruchten 6000 Euro wurden ihm vom OLG zugesprochen) beruht zum einen auf der fehlerhaften Rechtsansicht des Gerichts in der Frage der Erforderlichkeit eines zeitnahen Widerspruchs des Kunden und zum anderen auf Mängeln in dessen Prozessführung. Zwar wurde das die Klage in Gänze abweisende erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Köln insoweit korrigiert, als das OLG für die Preiserhöhungen des Jahres 2006 einen rechtzeitigen Widerspruch des Kunden annahm und die gegen den sich aus der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel ergebenden Bereicherungsanspruch des Kunden (§ 812 BGB) erhobenen Versorgereinwände der „Entreicherung“ (§ 818 Abs. 3 BGB) und der Anspruchsverwirkung zurückwies. Für die Jahre ab 2007 hat es aber den Klageanspruch verneint, weil hier der seiner Ansicht nach erforderliche zeitnahe Widerspruch des Kunden gegen die Preiserhöhungen nicht erfolgt oder nicht nachgewiesen worden sei.

1. Das OLG Köln überträgt – wie zuvor auch schon andere OLG (Oldenburg, Koblenz, Frankfurt, anders OLG Hamm vom 29.5.2009) – die für die Belieferung von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden geltende Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH, wonach im Falle des Unterbleibens eines die Unbilligkeit einseitiger Tarif- bzw. Preiserhöhungen geltend machenden Widerspruchs diese als vereinbart und damit als der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entzogen anzusehen seien, ohne weiteres auf den vorliegenden Fall einer unwirksamen vertraglichen Preisanpassungsklausel in einem Sonderkundenvertrag. Es verschärft diese Übertragung sogar noch insofern, als es hier nicht mehr, wie nach der genannten BGH-Rechtsprechung, für die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs auf den Zeitpunkt des Zugangs der Jahresabrechnung, sondern bereits auf den u. U. mehr als ein Jahr zurückliegenden Zeitpunkt der Mitteilung der Preiserhöhung an den Kunden ankommen soll. Die Begründung des OLG, in dieser Mitteilung liege ein an den Kunden gerichteter Antrag des Versorgers auf Vereinbarung des erhöhten Preises, widerspricht jedoch der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zu einseitigen Mieterhöhungen, die auf eine unwirksame vertragliche Mietanpassungsklausel gestützt wurden (Urteile vom 20.7.2005, VIII ZR 199/04, und vom 10.10.2007, VIII ZR 279/06). Danach können einseitige Erhöhungserklärungen gerade nicht in einen solchen Antrag umgedeutet werden und kann daher in der weiteren Inanspruchnahme der Vertragsleistung durch den Kunden auch keine Antragsannahme mit der Rechtsfolge einer neuen Preisvereinbarung gesehen werden. Das OLG Köln hat diese Urteile nicht einmal erwähnt, geschweige denn sich damit auseinandergesetzt. Es ist deshalb unzutreffend, wenn es sich für seine Ablehnung der Zulassung der Revision darauf beruft, sein Urteil sei keine Abweichung von einer Entscheidung de BGH. Das Übergehen der beiden Urteile durch das OLG kann allerdings auch darauf beruhen, dass sie vom Prozessvertreter des Kunden nicht oder jedenfalls nicht deutlich genug vorgetragen wurden.

2. Auch auf der Grundlage der wie ausgeführt rechtsfehlerhaften Ansicht des OLG zur Erforderlichkeit eines zeitnahen Widerspruchs auch im Falle einseitiger Preiserhöhungen, die auf eine unwirksame vertragliche Preisanpassungsklausel in einem Sonderkundenvertrag gestützt wurden, wäre jedoch der Kunde hier mit seiner Rückzahlungsklage vermutlich in Gänze erfolgreich gewesen, wenn er seine Behauptung, sein schriftlicher Widerspruch gegen die Preiserhöhung zum 1.1.2006 habe sich auch auf künftige weitere Erhöhungen bezogen, schon in der ersten Instanz vorgetragen und durch Vorlage einer Kopie des betreffenden Schreibens unter Beweis gestellt hätte. Dies hätte es dem OLG Köln unmöglich gemacht, dieses Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet anzusehen und daher als prozessrechtlich unzulässig zu ignorieren. Ein weiterer Fehler auf der Kundenseite lag auch darin, dass erst nach der mündlichen Verhandlung dem OLG ein Pressebericht von 2005 zugeleitet wurde, wonach der damalige Geschäftsführer des Versorgers erklärt habe, dass „die Kunden, die keine Rechtsmittel gegen die Preiserhöhungen einlegen, keinen Rechtsanspruch verlieren“. Deshalb konnte es das OLG offen lassen, ob der Versorgereinwand, dass der Kläger den Preiserhöhungen ab 2007 nicht zeitnah widersprochen habe, als rechtsmissbräuchlich zu betrachten gewesen wäre.

Der vorliegende Fall zeigt erneut, wie zuvor auch schon eine Reihe anderer Gerichtsurteile, wie wichtig es ist, dass die Verbraucherseite in den Prozessen über Nachforderungen gekürzter oder Rückerstattung bereits gezahlter Erhöhungsbeträge bei Unwirksamkeit der in Sonderkundenverträgen enthaltenen Preisanpassungsklauseln von kompetenten Anwälten vertreten wird. Dazu gehört, dass alle relevanten Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits im ersten Rechtszug in den Prozess eingeführt und jedenfalls vor den Instanzgerichten auch alle für die Sache des klagenden oder beklagten Verbrauchers sprechenden Gerichtsurteile und Literaturbeiträge vorgetragen werden – möglichst unter Beifügung von Kopien. Denn die Erfahrung zeigt, dass es oft nicht ausreicht, sich nach dem alten lateinischen Grundsatz „iura novit curia“ darauf zu verlassen, dass die Richter dies alles schon von sich aus kennen müssen oder sich wenigstens die Mühe machen, bei bloßer Angabe der Fundstellen das Material in der Gerichtsbibliothek herauszusuchen, für die Akten zu kopieren und dann auch gründlich zu lesen. Nur so lässt sich für die Verbraucherseite in den Gerichtsprozessen Waffengleichheit mit den meist besser gerüsteten Anwälten der Versorgerseite wenigstens annähernd erreichen.

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