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CO2-Fußabdruck in Schieflage

CO2-Fußabdruck in Schieflage

Anlässlich der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) veröffentlichte die internationale Nichtregierungsorganisation Oxfam im Herbst 2021 eine Studie, bei der es um die künftigen Pro-Kopf-Verbrauchsemissionen verschiedener globaler Einkommensgruppen geht. Die Unterschiede sind gewaltig!
Von Dirk Krämer

(9. Mai 2023) Die Pro-Kopf-Emission der reichsten 1 % der Weltbevölkerung wird 2030 immer noch 30-mal höher sein als die mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens vereinbare. Umgekehrt wird der Fußabdruck der ärmsten Hälfte der Weltbevölkerung um ein Vielfaches unter diesem Niveau liegen. Damit stellt das eine Prozent einen steigenden und nicht unerheblichen Anteil an den globalen Gesamtemissionen dar. Die Bekämpfung dieser extremen Ungleichheit und die Eindämmung übermäßiger Emissionen, die mit dem Konsum und den Investitionen der reichsten Menschen der Welt verbunden sind, sind von entscheidender Bedeutung, um im Sinne der Climate Justice doch noch das Paris-Ziel zu erreichen.

517 Dirk Krämer

Dirk Krämer ist Physiker und unterrichtet am Gymnasium Schloß Hagerhof in Bad Honnef. Er ist bei Scientists for Future Bonn und bei den Parents for Future Bonn aktiv.

Groß angelegte Studie

Die Oxfam-Studie basiert auf Analysen des Instituts für Europäische Umweltpolitik IEEP und des Stockholm Enviroment Institute SEI. Die beiden Institute stützen sich auf Daten der Nationally Determined Contributions (NDC), also die von den Ländern im Rahmen des Pariser Abkommens bei der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) hinterlegten Emissionsreduktionen. Diese werden verglichen mit den aktuellen im Emission Gap Report der UNEP veröffentlichten Zahlen.

Wichtig ist zu wissen, dass bei der Bilanzierung im Sinne der Climate Justice die Emissionen dem Land zugerechnet wurden, in dem die Waren letztendlich verbraucht werden. Hinzu kommen Emissionen der Haushalte, aus Kapitalinvestitionen und aus der Inanspruchnahme staatlicher Dienstleistungen.

Ergebnisse der Studie

1. Im Jahr 2030 werden die Emissionen der reichsten 1 % fast das 30-fache des 1,5-Grad-kompatiblen Pro-Kopf-Niveaus betragen, während jene der ärmsten 50 % deutlich darunter liegen.

Hinter dem moderaten globalen Durchschnittswert von jährlich 2,2 t CO2/Kopf verbirgt sich eine krasse Ungleichheit zwischen den erwarteten Pro-Kopf-Emissionen von reicheren und ärmeren Menschen auf der Welt. Die reichsten 1 % der Weltbevölkerung (mit 80 Mio. Menschen etwa so viele wie die Einwohnerzahl Deutschlands) werden 2030 einen Emissionsfußabdruck haben, der 16-mal höher ist als der globale Pro-Kopf-Durchschnitt. Der Fußabdruck der reichsten 10 % (ca. 800 Mio.) wird neunmal so hoch sein wie das 1,5-Grad-pro-Kopf-Niveau und der der mittleren 40 % (ca. 3,2 Mrd.) etwa doppelt so hoch. Dagegen wird der Durchschnitt der ärmsten Hälfte der Weltbevölkerung deutlich unter diesem Niveau bleiben (siehe Abbildung 1).
Aus Sicht einer Person der ärmsten Hälfte der Menschheit, also von etwa vier Milliarden Menschen, mutet die zwölfmal größere bundesdeutsche CO2-Menge pro Kopf ähnlich gewaltig an wie für uns der Vergleich mit den exorbitanten Emissionen der reichsten 1 % der Bevölkerung.

517 Abbildung 1: CO2-Emissionen im Jahr 2030 / Quelle: Dirk Krämer nach Daten der Oxfam-Studie

2. Die Gesamtemissionen von 90 % der Weltbevölkerung im Jahr 2030 werden nur knapp über dem globalen 1,5-Grad-kompatiblen Emissionsniveau liegen, während die der reichsten 10 % der Weltbevölkerung fast dasselbe Niveau erreichen.

Eine Emissionslücke von mindestens 17 Gt CO2 verbleibt zwischen den erwarteten Emissionen im Jahr 2030 und dem Niveau, das für die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad erforderlich ist. Jede der sehr ungleichen Gruppen – hier die 10 % reichsten Menschen, dort der Rest von 90 % – wird 2030 eine Menge von etwa 18 Gt CO2 emittieren, die für sich genommen ungefähr mit dem Paris-Ziel vereinbar ist. Die Gesamtemissionen liegen also doppelt so hoch wie erlaubt. Die erforderliche Minderung kann realistischerweise im Wesentlichen nur von den reichsten 10 % erbracht werden. Dabei sind die insgesamt 3 Gt der ärmsten Hälfte marginal (vergleiche Abbildung 2).

517 Abbildung 2: Anteil an den globalen Emissionen / Quelle: Quelle: Dirk Krämer nach Daten der Oxfam-Studie

3. Die Emissionen in der globalen Mittelschicht erfahren den größten Umschwung, wobei sich die geografische Ungleichheit verändern wird.

Die stärksten Emissionsminderungen werden bis 2030 mit -9 % unter dem Niveau von 2015 in der globalen Mittelschicht erzielt. Das ist ein Zeichen für eine bedeutende Trendwende in den am meisten entwickelten Ländern und ein klares Indiz für den sogenannten Paris-Effekt. Der Wert ist allerdings immer noch sehr weit von den nötigen -57 % entfernt. Hingegen werden die Gesamtemissionen der reichsten 1 % der Weltbevölkerung entgegen dem durch den Paris-Effekt ausgelösten Trend im Wesentlichen stagnieren. Diese Bevölkerungsschicht müsste ihren CO2-Ausstoß um 97 % reduzieren, um das Niveau zu erreichen, das mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist.

Moralisch und physikalisch unakzeptabel

Der extreme Unterschied zwischen den erwarteten Kohlenstoff-Fußabdrücken einer kleinen Minderheit der Weltbevölkerung und dem globalen Durchschnittswert, der erforderlich ist, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, ist weder aus moralischer noch aus physikalischer Sicht akzeptabel: Die Beibehaltung eines so hohen CO2-Fußabdrucks der reichsten Menschen wäre nur durch eine weitaus stärkere Emissionssenkung durch den Rest der Weltbevölkerung zu erreichen. Die Alternative bestände in einer globalen Erwärmung um deutlich mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau.

517 Symbolbild CO2-Fußabdruck / Foto: TarikVision / stock.adobe.com

Erbe der Industrienationen

Die Regierungen vor allem der entwickelten Nationen sind aufgefordert, die kurzfristigen Minderungsziele im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel zu verstärken – und dies vor allem auf der Grundlage der Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass die reichsten Länder mit den höchsten Emissionen sich verpflichten müssen, ihren fairen Anteil zu leisten und bei der Senkung der Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts des jahrhundertelangen kohlenstoffintensiven Wachstums der Industrienationen das 1,5-Grad-kompatible Pro-Kopf-Niveau eigentlich nicht einmal den „fairen Anteil“ dieser Länder an den globalen Anstrengungen zur Bewältigung der Klimakrise darstellt. Neben tiefgreifenden inländischen Emissionssenkungen ist also auch die Bereitstellung angemessener internationaler Klimafinanzierung zur Unterstützung von ärmeren Ländern für die Klimaanpassung und die Bewältigung klimabedingter Schäden nötig. Die im Pariser Abkommen bis 2020 zugesagten jährlichen 100 Milliarden US-Dollar an internationaler Klimafinanzierung sind bis heute nicht annähernd erreicht worden.

Besonders markant ist der CO2-Fußabdruck von Milliardären. Er erreicht etliche Tausend Tonnen pro Jahr, wobei Superyachten mit jeweils rund 7.000 t den größten Beitrag leisten. Aber auch Flüge, insbesondere mit Privatjets, haben einen immensen CO2-Fußabdruck und summieren sich leicht auf 1.000 t pro Jahr. Nur 1 % der Weltbevölkerung sind für die Hälfte der Emissionen des Luftverkehrs verantwortlich. Hinzu kommt mit dem Weltraumtourismus seit 2021 eine neue Form von sehr kohlenstoffintensiven Luxusreisen, bei denen in einem nur zehnminütigen Flug Hunderte Tonnen CO2 verbrannt werden.

CO2-Gerechtigkeit

Da sich die Vermögensungleichheit im Gefolge der Corona-Pandemie weiter vergrößert hat, ist eine koordinierte und substanzielle Besteuerung der exorbitanten CO2-Emissionen dringend erforderlich, um die Ungleichheit zu verringern, die Emissionen der Reichsten massiv zu drosseln und auch um die Einnahmen zu generieren, die zur Finanzierung des umfassenden Kampfes gegen die Klimakrise benötigt werden. Vorstellbar wäre beispielsweise eine gestaffelte CO2-Steuer, die für Emissionen über dem nationalen Durchschnitt den realistischeren Gegenwert von etwa 180 Euro/t vorsieht, wie es Astrid Matthey vom Umweltbundesamt (UBA) vorschlägt.

Eine gerechte und ausgewogene Energiewende benötigt belastbare Aussagen zu den bestehenden Ungleichheiten. Dazu gibt es aktuelle wissenschaftliche Ansätze wie der von Yannick Oswald und Julia K. Steinberger von der Universität Leeds, die mittels detaillierter Computeranalysen sachliche Daten liefern. In ihrem LiLi-Projekt (Living Well Within Limits) geht es um eine gerechte Verteilung der Ressourcen innerhalb der planetaren Grenzen bei gleichzeitiger Optimierung des Wohlbefindens aller Menschen.

Die Klimakrise wurde durch extreme Ungleichheit verursacht, jetzt ist es an der Zeit, das zu korrigieren.