David besiegt Goliath
Nach neun Jahren haben die Fernwärmekunden in Lübeck gegen die Stadtwerke vor dem Bundesgerichtshof gesiegt. Der Weg dorthin war steinig, zahlte sich letztlich aber aus.
Von Gunhild Duske
(4. Juni 2011) Jubel beim Energie-Stammtisch in Lübeck, einer Regionalgruppe des Bundes der Energieverbraucher. Nach neun Jahren des Bohrens dicker Bretter hat der Bundesgerichtshof unserem Widerspruch gegen die Preisanpassungsklausel für Fernwärme am 6. April 2011 schließlich Recht gegeben (Aktenzeichen: VIII ZR 66/09). Wären wir nicht so sparsam, wäre bei unserer monatlichen Sitzung am 7. April 2011 im Ratskeller zu Lübeck der Champagner in Strömen geflossen. Stattdessen trank jeder bescheiden wie immer auf eigene Kosten und zahlte seinen Obolus in unsere Stammtisch-Kollekte, mit der wir unter anderem dieses langwierige Verfahren der betroffenen Familie unterstützten.

Gunhild Duske leitet die Regionalgruppe Lübeck
Ein Rückblick
In den Jahren 2000 bis 2002, also seit Privatisierung der Stadtwerke, traf die etwa 20.000 Lübecker Fernwärmekunden eine Kostenexplosion: Rechnungen lagen um bis zu 200 Prozent über dem Betrag des Vorjahrs. Viele waren finanziell komplett überfordert (vgl. ED 2/2004). Beispielhaft klagte Familie W. gegen die Stadtwerke.
Unter den Preisanpassungsklauseln für Fernwärme, die wir gesammelt und verglichen hatten, war die der Stadtwerke Lübeck eine „Exotin":
- Eine zu hohe Ölpreisbindung fand sich in vielen Fällen, selbst wenn der Versorger die Fernwärme mit anderen Brennstoffen erzeugte.
- Einen Faktor „fEG", der die unbekannten variablen Bezugskosten für Gas darstellte, fanden wir sonst nirgendwo. Wir erkannten dies als Verstoß gegen § 24 AVB FernwärmeV (Transparenzgebot)
- Dass die Stadtwerke der Familie W. und anderen Kunden das Recht zur Kürzung oder Einbehaltung von Rechnungsbeträgen absprachen und mit Liefersperre drohten, werteten wir als Verstoß gegen § 30 AVB FernwärmeV.
Familie W. zog vor Gericht – und stützte sich auf unsere Beratung, unsere Solidarität und finanzielle Hilfe aus unserer „Stammtisch-Kollekte". Gleich in der ersten Instanz hatte die Familie Erfolg, doch nur bezüglich der Transparenz der Abrechnungen. Nachdem die Stadtwerke die Abrechnungen mit detaillierten Angaben versehen hatten, klagten sie ihrerseits auf Zahlung der einbehaltenen Kosten. Eine kluge Amtsrichterin widmete sich nun der Preisanpassungsklausel, insbesondere dem Faktor „fEG". Das war schon ein weiterer Fortschritt. Doch die Berufung der Stadtwerke bescherte uns eine Niederlage beim Landgericht Lübeck (Az: 25 C 3539/04).
Erfolg brachte hingegen die Revision beim BGH. Der VIII. Senat befand: „Eine von einem Versorgungsunternehmen in Fernwärmelieferverträgen verwendete Preisanpassungsklausel ist mit den Transparenzanforderungen des § 24, Abs. 4 Satz 2AVB FernwärmeV (Abs. 3 Satz 2 aF) nicht zu vereinbaren und daher unwirksam, wenn für die Berücksichtigung der Kostenentwicklung beim Erdgasbezug des Versorgungsunternehmens auf einen variablen Preisänderungsfaktor abgestellt wird, dessen Berechnungsweise für den Kunden nicht erkennbar ist." (S. 1) (Urteil vom 6. April 2011-VIII ZR 66/09, LG Lübeck).
Das Landgericht Lübeck wird sich nun erneut mit der Sache befassen müssen und unter den aktuellen Vorgaben des BGH zu entscheiden haben, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum Familie W. und andere Fernwärme-Kunden Kostenerstattungen erhalten.
Zwischenzeitlich hat ein anderer Lübecker Fernwärmekunde gegen die Stadtwerke geklagt und gesiegt. Das Amtsgericht Lübeck hat die 2006 nachfolgende Preisanpassungsklausel – nunmehr ohne den Faktor fEG (aber infiziert durch den „fEG" im Ansatz des Arbeitspreises) für unwirksam erklärt (Urteil Nielsen, rechtskräftig seit 7. August 2009, vgl. ED 4/09).
Nun hat der BGH also auch die Preisanpassungsklauseln zwischen 1998 und 2006 für unzulässig befunden. Erstaunlich ist das jahrelange Festhalten der Stadtwerke – vertreten durch die renommierte Kanzlei Becker, Büttner, Held – an diesem Weg der Preisbildung, den wir von Anfang an kritisiert haben.
Jetzt aber bietet sich die Chance für einen Neuanfang, der das Vertrauen der Fernwärmekunden und die Attraktivität der Fernwärme aus BHKWs als klimafreundliche Alternative zu Einzelfeuerungsanlagen wieder herstellen kann.
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