Bundesnetzagentur startet Regulierung
(26. Juli 2005) "Transparenz statt nicht nachvollziehbarer Preissteigerungen" fordert der Präsident der Bundesnetzagentur Matthias Kurth bei der ersten öffentlichen Vorstellung seiner Behörde am 20. Juli 2005 in Bonn. Die Vertrauenskrise bei den privaten Verbrauchern zeige die Wichtigkeit eines unabhängigen und neutralen Regulierers. Es gebe die einmalige Chance, durch Optimierung der Netzstrukturen die Netzkosten auf ein europäisches Niveau abzusenken. Kurth nannte als Beispiel Schweden und England -Wales, wo die Netztarife nur etwa halb so hoch wie in Deutschland liegen. Die Netzkosten für Strom- und Gasnetze werden ab sofort von der Bundesnetzagentur kontrolliert, nach dem sich die "freiwillige Selbstkontrolle" durch die Energieversorger als Irrweg herausgestellt hat. Grundlage ist das neue Energiewirtschaftsgesetz, das am 13. Juli 2005 in Kraft getreten ist.
Strom- und Gasnetze müssen allen Marktteilnehmern zu gleichen Konditionen zur Verfügung stehen. Dadurch wird es mehr Wettbewerb und letztlich auch niedrigere Preise sowohl bei der Stromerzeugung als auch beim Vertrieb geben.

Präsident Matthias Kurth, Vizepräsidentin Iris Henseler-Unger und Vizepräsident für Energiefragen Martin Cronenberg.
Unbundling
Die Energieversorgungsunternehmen betreiben derzeit oft gleichzeitig Produktion, Netzgeschäft und Vertrieb. Das kann dazu führen, dass der eigene Vertrieb gegenüber Dritten bevorzugt wird. Um das künftig zu verhindern, schreibt das neue Energiewirtschaftsgesetz eine Trennung des Netzgeschäfts von Produktion und Vertrieb vor, das sogenannte Unbundling - unter Kontrolle der Bundesnetzagentur.
Die Bundesnetzagentur ist aus der früheren Regulierungsbehörde für Post und Telekom hervorgegangen. Sie wird sich künftig auch um Energienetze und die Bahnnetze kümmern. Die Behörde hat sich durch die erfolgreiche Senkung der Telefontarife bereits einen guten Namen bei Verbrauchern gemacht.
Die Bundesnetzagentur hat eine Web-Seite (www.bundesnetzagentur.de) und eine Hotline für Verbraucher eingerichtet, erreichbar zwischen 9 und 15 Uhr: 030 22 48 0500 oder 01805 10 1000. Verbraucher können sich mit Fragen und Problemen an die Hotline wenden. Die Verbraucherbeschwerden werden von der Bundesnetzagentur kostenlos bearbeitet, soweit nichts anderes von der Bundesnetzagentur mitgeteilt wird.
Alle Netzentgelte auf dem Prüfstand
Alle derzeitigen Durchleitungsentgelte kommen nun auf den Prüfstand der Regulierungsbehörde. Die Behörde wird die Kalkulation der Netzbetreiber nicht nur bei Entgelterhöhungen prüfen, sondern generell alle Netztarife und damit auch die dabei angesetzten Kosten kontrollieren. Die von der Union über den Bundesrat durchgesetzte Einführung der Vorabgenehmigung (Ex-ante-Regulierung) der Entgelte der Strom- und Gasdurchleitung ist der Kern des neuen Energiewirtschaftsgesetzes. Bis zu letzt haben Bundesregierung und die grossen Netzbetreiber versucht, diesen Mechanismus zu umgehen.
Alle rund 900 Stromnetzbetreiber müssen nun innerhalb der kommenden drei Monate Anträge auf Genehmigung ihre Netztarife stellen. Die Bundesnetzagentur muss sechs Monate nach Antragseingang entscheiden. Somit wird es ab Mai 2006 nur noch genehmigte Stromnetztarife geben. Die etwa 700 Gasnetzbetreiber müssen innerhalb der nächsten sechs Monaten entsprechende Anträge stellen.
Nettosubstanzerhaltung
Die Kalkulationsmethode für die Netztarife war und ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Insgesamt zahlen die Stromkunden jährlich für die Netznutzung etwa 18 bis 20 Millarden Euro. Die Kapitalkosten der Netze werden von den Versorgern mit etwa acht bis zehn Milliarden Euro beziffert. Dabei handelt es sich aber nicht um tatsächlich entstehende und nachweisbare Kosten, sondern um fiktiv angesetzte Kosten, wenn das Netz auf dem neusten Stand erhalten würde. Diese Methode der sogenannten "Nettosubstanzerhaltung" setzt sogar die Steuern als Kosten an, die auf diese Zusatzgewinne entfallen. Die Bundesnetzagentur genehmigt die Netztarife auf der Grundlage einer Netzentgeltverordnungen Strom bzw. Gas. In diesen Verordnungen wurden größtenteils die vom Selbstbedienungsgedanken geleiteten Prinzipien der früheren Verbändevereinbarung festgeschrieben.
Vergleichsverfahren
Parallel zur Kostenprüfung wird ein Vergleichsverfahren durchgeführt. Die Netzbetreiber werden in sechs Strukturklassen eingeteilt und die Netzentgelte innerhalb der Strukturklasse verglichen. Derzeit gibt es erhebliche Unterschiede der Netztarife um bis zu fast 100 Prozent und auch erhebliche Unterschiede innerhalb der Strukturklassen. Neben der Absatzdichte (hoch, mittel, niedrig) wird zwischen alten und neuen Ländern unterschieden. Diese "Klassengesellschaft" wird vom Bund der Energieverbraucher kritisiert, weil sie ohne nachvollziehbare Begründung die überhöhten Netztarife in den neuen Ländern in die Zukunft fortschreibt. Die derzeitig hohen Stromkosten in strukturschwachen Gebieten werden zementiert und auf Dauer dem Wettbewerb entzogen.
Anreizregulierung
Ab 2007 werden die Netzentgelte voraussichtlich von der Nettosubstanzerhaltung auf eine Anreizregulierung umgestellt. Dadurch werden Netzbetreiber zur Weitergabe von Kostensenkungen an die Netznutzer angehalten. Die Bundesnetzagentur wird dazu einen Vorschlag erarbeiten, der dann politisch diskutiert und beschlossen wird.
Die Regelungen des neuen Energiewirtschaftsgesetzes
Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz und den jüngsten BGH-Entscheidungen zur Regulierung hat sich für Matthias Kurth ein "Paradigmenwechsel" der materiellen rechtlichen Regelungen vollzogen.
Die Durchleitung von Gas durch fremde Netze wird erleichtert. Dadurch wird der Wettbewerb auf dem Gasmarkt erleichtert, so dass Haushaltskunden auch den Gasanbieter wechseln können.
Die bisherige Genehmigung der Stromtarife für Haushalte durch die Länderwirtschaftsminister entfällt ab 1. Juli 2007 ersatzlos. Danach wird es nur noch eine Kontrolle der Netztarife geben, die heute etwa ein Drittel der Preis ausmachen. Die Stromtarife in ihrer Gesamthöhe unterliegen dann keiner Genehmigung mehr.
Die bisher geltenden "Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Strom- und Gaskunden", kurz AVBElt und AVBGas sind durch das neue Gesetz nicht außer Kraft gesetzt worden. Das neue Gesetz (EnWG § 39 und 41) sieht jedoch den Erlaß neuer Verordnungen vor. Sie sind vom Wirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Verbraucherschutzministerium mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen. Zwar wird mit Hochdruck an den Verordnungen gearbeitet. Aufgrund des politisch turbulenten Herbstes 2005 könnte noch einige Zeit vergehen, bis neue Verordnungen in Kraft gesetzt werden.
Ab 15. Dezember 2005 müssen die Stromrechnungen für Letztverbraucher das Netzentgelt gesondert ausweisen. Auf der Rechnung muss dann auch der Anteil der einzelnen Energieträger am Gesamtmix des Lieferanten angegeben werden (EnWG § 42).
Das neue EnWG legt in § 102 fest, dass für alle Streitigkeiten, die sich aus dem Gesetz ergeben, die Landgerichte zuständig sind, unabhängig vom Streitwert. Nachteilig ist der damit verbundene Anwaltszwang sowie die höheren Gerichts- und Anwaltskosten.
Fazit:
- Die Aufsicht der Länder über die Strompreise von Tarifkunden wird am 1. Juli 2007 abgeschafft.
- Gaspreisgenehmigungen wird es auch künftig nicht geben.
- Die bisherigen Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Strom und Gas bleiben bis zum Erlass der neuen Verordnung in Kraft.
- Ab 15. Dezember 2005 muss auf der Stromrechnung der Anteil von Atomkraft, Kohle und Wasser an der Stromerzeugung und die Höhe der Durchleitungsentgelte angegeben werden.
- Das Monopol des Netzbetreibers auf die Messung des Strom- und Gasverbrauchs wird aufgehoben (EnWG § 21b). Der Verbraucher kann künftig auch private Firmen mit der Messung beauftragen. Dadurch können Kosten gesenkt werden.
Kommentar:
Worauf dürfen Verbraucher hoffen?
Ganz offensichtlich sind die Strom- und Gaspreise in Deutschland überhöht - gemessen am übrigen Europa und den üppigen Gewinnen der deutschen Versorgungswirtschaft. Auf Brüsseler Druck hat man sich in Deutschland mit großer zeitlicher Verzögerung auf eine Kontrolle der Netztarife einlassen müssen. Ob es aber zum beschworenen Paradigmenwechsel kommen wird, ist derzeit nur schwer absehbar. Zu groß ist und bleibt die Macht der vier Energieriesen. Und zu groß war auch deren Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren über die Bundesregierung, Ministerien und das Parlament. Die Börsenkurse von E.ON und RWE sind nach Inkrafttreten des Gesetzes folgerichtig angestiegen.
Eine Kostensenkung wie durch die Liberalisierung des Telefonmarktes kann man nicht erwarten. Denn die neue Regulierungsbehörde kann nur auf die Höhe der Netzentgelte Einfluss nehmen. Diese machen bei Strom und Gas nur etwa ein Drittel des Gesamtpreises aus.
Selbst eine Senkung der Netztarife von 20 Prozent würde den Strom- oder Gaspreis nur um sieben Prozent reduzieren. Und die neuen Verordnungen legen fest, dass die bisherigen Kalkulationsverfahren der Versorger auch durch die Regulierungsbehörde anzuerkennen sind. Eine zwanzigprozentige Senkung dürfte unter diesen Umständen nur sehr mühsam zu erringen sein.
Während die Regulierung sich auf die Senkung der Netztarife beschränken muss, setzte die Stromwirtschaft ungestört von jeglicher Kontrolle die Kosten der Strombeschaffung. Denn wer über 90 Prozent der Erzeugungskapazität verfügt, wie das bei den vier Stromkonzernen der Fall ist, kann die Höhe des Erzeugungskosten diktieren, sei es über die Börse oder auch außerhalb.
Der Regulierer wird mit dem Absenken der Netztarife gar nicht so schnell sein können, wie die Erzeugungskosten derzeit angehoben werden. Allein im Juni 2005 sind die Preise an der Leipziger Strombörse um über 20 Prozent gestiegen. Unter dem Strich wird also der Verbraucher mehr und nicht weniger für Strom und Gas zu bezahlen haben, Regulierung hin oder her. Und der Verdienst der Energiefirmen wird unter Berufung auf den freien Energiemarkt weiter steigen.
Das neue Energiewirtschaftsgesetz kann also nur der Anfang einer strengeren Regulierung sein, die insbesondere die Versorgungssicherheit, die Verbraucherbelange und die Marktchancen neuer unabhängiger Anbieter im Visier haben muss.
Das Gesetz schützt also Verbraucher künftig leider nicht vor überhöhten Strom- und Gaspreisen. Den Verbrauchern bleibt die Möglichkeit, die Zahlung überhöhter Strom- und Gaspreise zu verweigern, gestützt auf das Bürgerliche Gesetzbuch § 315. Angesichts steigender Strom- und Gaspreise und dem offenkundigen Versagen und der geplanten Abschaffung staatlicher Preiskontrollen gewinnt diese Möglichkeit an Bedeutung und an Attraktivität. Die Gerichte gestehen den Verbrauchern dieses Recht in einer Reihe von aktuellen Urteilen ausdrücklich zu.
schließen